Bio vs. regional - dumme Frage

Kai Neumann

Modell aus Perspektive des Faktors Nachhaltige Ernährung

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Eigentlich wollte ich mal eben schnell Kurzvideos im Internet zu der Frage suchen, ob Bio-Nahrungsmittel aus dem Ausland oder regionale/saisonale konventionelle Lebensmittel besser sind - der berühmte Bio-Apfel aus Neuseeland vs. dem konventionellen, gespritzten Apfel aus der Region. Schnell musste ich aber feststellen, dass anders als die ausführlichen Reportagen im Internet, die Kurzvideos von der konventionellen Lobby beeinflusst Bio eher generell in Frage stellen. Ich habe daraufhin ....

Modell aus Perspektive des Faktors Nachhaltige Ernährung

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...ein qualitatives Ursache-Wirkungsmodell zur Sammlung aller Argumente erstellt, welches auf KNOW-WHY.net diskutiert werden kann. Hinter den Faktoren und auch Wirkungsbeziehungen sind dann oft weiterführende Quellen verlinkt.
In dem Modell sind natürlich auch die Argumente gegen Bio aufgegriffen, so zum Beispiel das Argument, .....

Modell aus Perspektive des Faktors Pestizide etc.

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... dass Bioanbau auch Pestizide verwendet, und daher gar nicht besser sei. Das typische "bio ist eigentlich kein bio" Argument, was vor allem aus psychologischen Gründen so gern aufgegriffen wird, da wir unser Verhalten nicht kritisiert wissen wollen.
Tatsächlich werden beim Bioanbau aber ganz andere Pflanzenschutzmittel - und die auch nur äußerst begrenzt in Notfällen - verwendet, wie das verlinkte Video hinter dem Faktor "Pestizide etc." zeigt.

Das nächste Argument gegen Bio war dann, dass es ja gar nicht gesünder sei....

Modell aus Perspektive des Faktors Gesunde Ernährung für die Menschen

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... und allenfalls mehr Antioxidantien enthalte, deren Wirkung unklar sei. Nun, was gesünder ist und vor allem was besser schmeckt, darüber lässt sich sicherlich streiten, und für das Modell habe ich einfach mal angenommen, dass Bio und Konventionell grundsätzlich gleich gesund sind.
In der Abbildung ist zu sehen, wie wichtig Fleisch, Obst, Milchprodukte, Hülsenfrüchte etc. für uns sind, und dass beispielsweise konventionelles Obst und Bio-Obst die gleiche Wirkung auf die Gesundheit haben (zu erkennen an den Gewichtungszahlen auf den Pfeilen)
Interessant ist, dass Getreide selbst gar nicht so gesund ist, aber in großen Mengen konsumiert und angebaut wird, und dass gerade bei Getreide der Unterschied in den Erträgen zwischen Bio und Konventionell recht hoch ist, worum es gleich bei der nächsten Folien noch gehen wird.
Das mit der Gesundheit finde ich besonders spannend: Harari hat in seinem Bestseller "Sapiens" (verlinkt hinter dem Faktor "Getreide") darauf hingewiesen, dass die Menschen vor etlichen Tausend Jahren vor der Agrarrevolution sich viel gesünder durch eine Mischkost ernährt haben, als wir heute mit Getreide, Zucker und Fett. Die Menschen damals konnten ohne physische Bedrohungen (Säbelzahntiger, Kälte und andere Feinde) allein von der Ernährung her älter werden, als wir heute. Was die Medizin heute möglich macht, machen unsere falsche Ernährung und Sonnenbaden dummerweise wieder zunichte.
Das Hauptargument gegen Bio ist nun aber sicherlich, dass...

Modell aus Perspektive des Faktors benötigte Ackerflächen

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... wir gar nicht genug Flächen hätten, zumal der Bioanbau im direkten Vergleich ja weniger Erträge bringt. Nun, hier wird zumeist Getreide verglichen. Bei Kartoffeln und vor allem den viel gesünderen Hülsenfrüchten ist kein eindeutiger Unterschied im Ertrag mehr festzustellen. Viele Hülsenfrüchte können dabei auch noch Stickstoff aus der Luft als Dünger für den Boden sammeln, als so genannte Leguminosen.
Jetzt aber einfach nur alles Getreide durch Hülsenfrüchte zu ersetzen, ist noch nicht die Lösung. Wir haben in einem Simulationsmodell für das Umweltbundesamt (verlinkt durch den Faktor "benötigte Ackerflächen") einmal ausgerechnet, inwieweit wir mit den vorhandenen oder sogar weniger Flächen die gleiche Anzahl an Menschen durch Bioanbau ernähren könnten.
Antwort: es ginge, wenn wir weniger Lebensmittel wegschmeißen, weniger Fleisch essen, ertragreichere Biofrüchte wählen und möglichst auch bessere Anbaupraktiken (Permakulturen, Terra Preta, Agroforestry, etc.) wählen würden.
Bei Permakulturen verzichten wir auf Maschinen und die Pflanzen unterstützen sich in Symbiose (hier hat Consideo in einem Projekt für Afrika den Nutzen erforscht, verlinkt hinter dem Faktor). Bei Terra Preta wird der Boden mit Pflanzenkohle, effektiven Mikroorganismen und menschlichen Bioabfällen aufgewertet und kann daraufhin mehr Humus (CO2), Feuchtigkeit und Nährstoffe speichern. Bei Agroforestry werden Bäume und Äcker kombiniert und die Bäume schützen vor Wind, Erosion und zu viel Sonne und können sogar Nährstoffe für die Pflanzen sammeln.
Die meiste Fläche brauchen wir heute für Futtermittel. Und eine Ernährungseinheit Fleisch braucht auch ein Vielfaches an Fläche, was eine vergleichbare Ernährungseinheit pflanzlicher Nahrung benötigt.
Diese Erkenntnisse aus dem Umweltbundesamt-Modell finden sich auch hier in diesem qualitativen Modell wieder und auch die Möglichkeiten, durch Gülle Kunstdünger einzusparen etc. sind hier enthalten. Es ist übrigens Unsinn, mit viel Fläche Tiere zu halten, nur um dann mit Gülle die Äcker wieder düngen zu können, wenn durch Verzicht auf den weltweit zunehmenden Fleischkonsum Böden geschont und viel mehr Menschen ernährt werden können.
Damit kommen wir zum vorletzten Argument, dass....

Modell aus Perspektive des Faktors Bezahlbare Lebensmittel

PI

... sich bio nicht jeder leisten kann. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass wir ein Vermögen für gute Biolebensmittel ausgeben - aber wie beispielsweise eine Reportage von Tim Mälzer (verlinkt hinter dem Faktor "Bezahlbare Lebensmittel") zeigt, ginge bio auch viel preiswerter.
Nicht zu vergessen ist hier, dass durch weniger Wegschmeißen Geld gespart werden kann und dass in Zukunft durch extremere Wetter dank des Klimawandels Preise eh zu steigen drohen. Wir haben zwei Jahre in Folge weltweit weniger Weizen geernet, als wir brauchten (wir leben dann von Reserven in den Lagern).
Agroforestry, Permakultur und Terra Preta sind übrigens weniger anfällig gegen extreme Dürren und Überschwemmungen.
Letztes Argument ist, dass ....

Modell aus Perspektive des Faktors (EU-)Verordnungen

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... die konventionelle Landwirtschaft doch auch alles richtig mache, die Böden und Bienen schonen würde. Nun, da hat sich in der Tat viel getan, zumeist mit Druck von der EU. Aber immer noch sind die Hauptursache für das Bienensterben der Einsatz von Spritzmitteln und die größte Gefahr für unser Grundwasser die Nitrateinträge durch die Landwirtschaft - auch, weil zu viel billiges Fleisch nachgefragt wird. Einige Wasserwerke kaufen landwirtschaftliche Flächen, weil es billiger ist, Äcker stillzulegen, als Nitrat aus dem (Grund)wasser zu filtern.
Und der Humusgehalt der Böden (wichtiger CO2 Speicher) geht bei konventioneller Landwirtschaft sehr wohl zurück - nur eben sehr langsam.

PI

Ergebnis - die x-Achse der Erkenntnis-Matrix zeigt links negative und rechts positive Faktoren, die y-Achse, inwieweit etwas in seiner Wirkung zu- oder abnimmt: natürlich sind sowohl der Bio-Apfel aus Neuseeland als auch der gespritzte aus der Region nicht die richtige Wahl, sondern der Bio-Apfel aus der Region. Bio aus Neuseeland ist natürlich das Extrem und kommt mit dem Flieger. Es gibt auch Bio aus der Türkei, Spanien, Italien, Ägypten usw., was nicht ganz so schlecht ist.
Dass Bio zunehmend (y-Achse) positiv wirkt liegt unter anderem an so genannten selbstverstärkenden Wirkungsschleifen, wenn unsere Essgewohnheiten auch im Rest der Welt - also auch von Milliarden Indern, Chinesen und anderen übernommen werden. Wären wir weniger Menschen, könnten wir Fleisch und Fisch wie immer essen. So aber vergiften wir die Umwelt (auch mit Massentierhaltung und Antibiotika, die multiresistente Keime bedingen), fördern den Klimawandel, nehmen Kleinbauern und traditionellen Fischern die Arbeit (die landen dann in Slums, in Terror-Organisationen oder auf der Flucht zu uns) und lassen multinationale Konzerne die Länder ausbeuten, in denen dann am Ende ungesunde aber billige Lebensmittel die Lebenserwartung verkürzen und die Menschen stattdessen Geld für andere, umweltunfreundliche Dinge ausgeben können. Es hängt alles zusammen und da ist es kein Wunder, dass Experten so sehr eine Ernährungs- und Landwirtschaftswende fordern.
Und wenn wir auf alle Optionen blicken, ....

PI

.... (links sind die negativen Faktoren, rechts die positiven), dann ist Bio für alle leicht möglich, wenn wir (mehr) auf tierische Produkte verzichten. Selbst Bio-Rindfleisch ist demnach nicht nachhaltig, genauso wenig wie Bio Milchprodukte oder Bio-Eier oder gar Bio-Getreide. Stattdessen stehen positiv auf der anderen Seite Leitungswasser (kein Zucker, kein Transport), Bio-Hülsenprodukte, Bio-Obst und -Gemüse aus der Region, und verbesserte Anbaupraktiken - ggf. auch vertikale Gärten und Gewächshäuser mit überschüssigem Windstrom geheizt.
Mehr Details im Modell und gern in der Diskussion auf KNOW-WHY.net